Enshittification - warum unser digitales Leben immer schlechter wird
Früher haben uns Plattformen wie Facebook oder TikTok noch richtig begeistert – alles war neu, praktisch und irgendwie cool. Heute fühlt sich vieles davon einfach nur noch nervig oder sogar gefährlich an. Let's dig into „Enshittification“

Wisst ihr noch, wie’s mal war? Damals, als Google einem tatsächlich die besten Webseiten lieferte – und nicht nur eine Wand aus Anzeigen und SEO-Trickserei? Als TikTok noch für kreative Clips stand, statt wie eine überdrehte Shopping-App daherzukommen? Und als Facebook nicht bloß ein endloser Strom aus KI-generiertem Schrott (aka slop) war, sondern tatsächlich noch Posts von echten Freunden anzeigte? Kurz gesagt: Früher war das doch alles irgendwie… besser.
Heute dagegen wirkt es fast so, als würden die großen Plattformen mit voller Absicht den Rückwärtsgang einlegen. Dabei sollte Technologie doch smarter, nahtloser, hilfreicher werden – gerade jetzt, im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Statt Fortschritt bekommen wir aber das Gegenteil: schlechtere Ergebnisse, chaotischere Feeds, weniger Qualität und viel Manipulation. Ist das Überforderung oder nur ein blöder Zufall?
Die Antwort ist ernüchternd klar: Das ist kein Versehen. Was wir erleben, ist Teil eines kalkulierten, rücksichtslosen Musters. Abwärts im Namen des Profits
Nein, es ist kein Zufall, es ist "Enshittification"
Der treffende Begriff für dieses Phänomen wurde 2022 vom Technologiekritiker Cory Doctorow geprägt: "Enshittification". Es beschreibt den absichtlichen Prozess, durch den Online-Plattformen ihre Qualität systematisch verschlechtern, um ihren eigenen Profit zu maximieren.
Laut Doctorow verläuft die Enshittification in drei vorhersagbaren Phasen:
- Phase 1: Gut zu den Nutzern sein. Zuerst lockt die Plattform mit einem großartigen, oft kostenlosen oder subventionierten Service massenhaft Nutzer an. Das Ziel ist es, eine große, gefangene Zielgruppe aufzubauen.
- Phase 2: Gut zu den Geschäftskunden sein. Sobald die Nutzerbasis etabliert ist, wird die Plattform für zahlende Kunden – meist Werbetreibende – optimiert. Der Nutzer-Feed wird mit Anzeigen und gesponserten Inhalten gefüllt, was die ursprüngliche Nutzererfahrung bereits verschlechtert, aber den Gewinn steigert.
- Phase 3: Den Wert für sich selbst extrahieren. In der letzten Phase wird die Plattform sowohl für die ursprünglichen Nutzer als auch für die Geschäftskunden immer schlechter gemacht, um den maximalen Wert für die Eigentümer und Aktionäre des Unternehmens herauszupressen.
Dieses Konzept ist so schlagkräftig, weil es einem kollektiven Frustrationsgefühl einen Namen gibt. Es entlarvt die Verschlechterung von Diensten wie Facebook, TikTok oder X (ehemals Twitter) nicht als technisches Versagen, sondern als kaltblütige Geschäftsstrategie. Am Ende, so Doctorows ungeschönte Diagnose, bleibt nur noch ein „riesiger Haufen Scheiße“ übrig – und wir sind mittendrin. Der schleichende Verfall ist kein Bug, er ist das Feature.
Deine Aufmerksamkeit ist die eigentliche Währung
Dieser zynische Dreischritt ist nur möglich, weil die Plattformen Ihnen kein Produkt verkaufen – sie verkaufen Sie. Um den Motor dieses Verfalls zu verstehen, müssen wir die Währung betrachten, mit der er betrieben wird: Ihre Aufmerksamkeit. In der "Attention Economy" oder Ökonomie der Aufmerksamkeit wird in einer Welt des Informationsüberflusses die menschliche Aufmerksamkeit zur knappsten und damit wertvollsten Ressource.

Diese Taktiken zur Maximierung der Aufmerksamkeit sind der Treibstoff für die "Enshittification". Jede Sekunde, die wir länger auf einer Plattform verweilen, ist eine Sekunde, die monetarisiert werden kann. Die Verschlechterung der Servicequalität ist der Preis, den wir dafür zahlen, dass Unternehmen unseren Blick nicht mehr loslassen wollen.
Wir ertrinken in Daten – und das ist Teil des Problems
Wir leben in der "Zettabyte-Ära" – einer Zeit, in der die weltweit erzeugte Datenmenge so gigantisch ist, dass sie in Zettabytes (eine Zahl mit 21 Nullen) gemessen wird.

Im ohrenbetäubenden Lärm der globalen Datenflut müssen Unternehmen immer aggressivere Methoden anwenden, um überhaupt noch durchzudringen. Diese Dynamik befeuert die "Enshittification" direkt. Der Kampf um Sichtbarkeit führt dazu, dass die Nutzererfahrung geopfert wird. Die Plattformen werden lauter, aufdringlicher und manipulativer, weil sie es sein müssen, um im Informations-Tsunami nicht unterzugehen.
Ein Ausweg: Unser "Digital Wellbeing" muss erlernt und reguliert werden
Die Verschlechterung unserer digitalen Welt ist kein Zufall, sondern ein systemisches Problem. Sie ist die logische Konsequenz eines Geschäftsmodells, das auf der Ausbeutung unserer Aufmerksamkeit basiert und durch die unvorstellbare Datenflut der Zettabyte-Ära gnadenlos angetrieben wird. "Enshittification" ist der Prozess, bei dem der anfängliche Nutzen einer Plattform schrittweise in reinen Unternehmensprofit umgewandelt wird – auf Kosten von uns allen.
Zum Glück schreibt die EU den Tech-Riesen inzwischen ein paar Spielregeln vor – sonst würden die Nutzer wohl noch gnadenloser durchgeschüttelt werden. Und weil es für die Konzerne meist bequemer ist, ihr Produkt weltweit gleich zu halten, könnten die strengeren EU-Vorgaben sogar dafür sorgen, dass auch User außerhalb Europas davon profitieren.
Parallel dazu gibts es auch die Projekte und Initiativen, die Menschen mit dem wichtigen Thema „Digital Maturity“ vertraut machen.

Klingt erstmal trocken, bedeutet aber im Grunde: fit machen für die digitale Welt – und für die manchmal schamlosen Manöver der großen Tech-Player. Denn die behandeln oft ihre Nutzer gerne wie eine Flipperkugel: ständig anschubsen, irgendwo gegenschleudern und bloß nicht zur Ruhe kommen lassen.
Bessere Tools sind nur "One Click Away"
Die eigene digitale Neugier zu pflegen, hilft auch weiter. Statt uns von den großen Plattformen immer weiter vor sich hertreiben zu lassen, lohnt es sich, bewusst nach Alternativen zu suchen – nach Tools und Plattformen, die nicht von auf maximale Werbeverwertung ausgelegt sind. Beispiele gibt es genug: Signal statt WhatsApp, zum Beispiel, wenn es um Messaging geht. Oder Bluesky oder Mastodon statt Twitter/X, wenn man wieder ehrliche Diskurse ohne Algorithmus-Zirkus erleben will. Viele dieser Dienste wirken manchmal auf den ersten Blick ungewohnter, doch genau darin liegt ihre Stärke: Sie sind näher an den Bedürfnissen der Nutzer, unabhängiger von Manipulationslogiken und dadurch deutlich immuner gegen die systematische „Entshittification“, die wir bei Giganten wie Meta, Microsoft oder Alphabet beobachten. Wer neugierig bleibt und solche Alternativen ausprobiert, entdeckt nicht nur bessere digitale Erfahrungen, sondern zeigt auch, dass wir uns nicht alles gefallen lassen.
Das Buch von Cory Doctorow: Enshittification (sponsored link)

Live long and prosper 😉🖖